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Hippies und Punks im Friedhof

Seit 11 Jahren gibt es das Friedhof Forum. Darin werden Fragen zum Tod von den verschiedensten Seiten her beleuchtet. Ein Musikvortrag von Veit Stauffer hat diesen im Rahmen der aktuellen Ausstellung eine weitere Facette zugefügt.


Pete Mijnssen, Text und Foto, Marcus May, Foto

In seiner neuesten Ausstellung zum Thema des nahenden Todes in der Pop- bzw. Rockmusik steht ein Zitat des Sängers Leonard Cohen: «you want it darker». Das war der Titelsong seines zweitletzten Albums. Die Textzeile steht sinnbildlich dafür, dass 70 Jahre nach der Erfindung des Rock ‘n’ Roll das einst ausgerufene Versprechen von ewiger Jugend und ungezügeltem Hedonismus nicht mehr uneingeschränkt gilt. In das Narrativ des klassischen Rocksongs schleicht sich zunehmend das Thema des nahenden Todes ein – durch Alter oder Krankheit, aber auch als insgeheim gefasster Entschluss, sich das Leben zu nehmen. So ist bis heute ungeklärt, «wie» David Bowie aus dem Leben schied. War das ein sanftes Entschwinden, oder ein letzter cleverer PR-Coup des Musikmagiers und Geschäftsmannes? Einfacher war es bei Prince und Michael Jackson, wo Schmerzmittel dem Leben ein Ende setzten. Rock’n Roll stand aber schon früh für das Sinnbild von «live fast, die young». Der «27er-Club» mit Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse legt beredtes Zeugnis der morbiden Seite von «Sex, Drogen & Rock’n’roll» ab. Im fröhlichen «Für immer Jungsein» schwangen schon seit Anbeginn immer tödliche Abgründe mit.

Heiteres zum Tod

Diesen und ähnlichen Fragen ging der Musikexperte Veit Stauffer nach, der bis 2020 in Zürich den bekannten Rec Rec Shop führte. Wer ihn kennt (und das sind viele, so schnell war der Abend ausverkauft), freute sich auf die Mischung von Wissenschaftlichem und Anekdotischem. So gelang es Stauffer, dem schweren Thema Tod auch eine heitere und humorvolle Seite abzugewinnen. Legendär sind etwa das Kokettieren der Hippie-Westcoastband Grateful Dead, welche den Totenschädel seit bald 60 Jahren im Wappen trägt. Ihre Fans, die Deadheads, reisten damals in bunt bemalten Bussen ihren Idolen im ganzen Land (und in Europa) nach und feierten ihre ausufernden, meist mit LSD-getränkten Auftritte, die oft acht Stunden und mehr dauerten. 1971 verleitete dieser Kult um die dankbaren Toten die Plattenfirma sogar dazu, für eine Single-Auskoppelung eine Bastelanleitung für einen Sarg beizulegen.


Veit Stauffer beleuchtet das Thema Tod von der musikalischen Seite her.

Himmel und Hölle

Auch die NDW-Band Palais Schaumburg kokettierte mit dem Sensemann und sang 1981 «Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm». Der «König von Deutschland», Rio Reiser, nannte sein letztes Album treffend «Himmel und Hölle». Eine berührende Anekdote wusste Stauffer zum Titel «Charlotte» (1989) von den Young Gods zu erzählen. Er sass nach einem Studio-Besuch, wo die Genfer Gruppe das besagte Stück aufgenommen hatte, im Tram 4 am Limmatplatz. Dort wurde er Zeuge, wie das abfahrende Tram eben im Begriff war, einen älteren Mann mitzuschleifen. Der beherzte junge Mann zog die Notbremse und rettete diesem das Leben, wie tags darauf in den Medien zu lesen war. Geblieben ist Stauffer die Episode, weil sein Vater damals im Sterben lag. Tod und Leben, so nahe beieinander.

Hommage an Christoph Badoux

Nicht fehlen durfte an diesem Abend Nadja Zela, die in «All» und «Au nümm da» aus dem Album Andromeda, ihrem verstorbenen Lebenspartner und Illustrator Christophe Badoux nachtrauert und sinniert. Er, der weiter hinten im Friedhof begraben ist. So schloss sich der musikalische Abend im altehrwürdigen Friedhof, der nach dem Vorbild des Wiener Zentralfriedhofs 1877 von Stadtbaumeister Arnold Geiser (einem Schüler von Gottfried Semper) erbaut wurde.

P.S. Der Vortrag wird am Dienstag, 24. Oktober 2023 wiederholt (20.00 bis ca. 22.00 Uhr)

«YOU WANT IT DARKER - Songs über den nahenden Tod», Ausstellung im Friedhof Forum bis 11.7.2024 (Ausstellungskatalog, 140 Seiten, Fr. 10.-)