Wiedikon verliert eine Ikone

Der Fotoautomat an der Goldbrunnenstrasse ist weg – er hat uns zahllose schöne Stunden bereitet.

Ivo Mijnssen (Text), Daniela Hemmi (Bild)


Der Fotokasten an der Goldbrunnenstrasse ist weg

 

Eigentlich ist es ja ein Wunder, dass er so lange überlebt hat. Doch nun ist er endgültig weg, der Fotoautomat an der Goldbrunnenstrasse 123. Geblieben ist lediglich die Erinnerung mehrerer Generationen an ihn. Meine eigenen ersten schwarz-weissen Fotostreifen stammen aus den späten achtziger Jahren, bis heute füllen sie ganze Schachteln. Sie zeigen kindische Grimassen, angestrengte Coolness, doofe Hüte und Kostüme, Blödeleien und Ernsthaftigkeit. Bis zu vier Leute haben wir jeweils in die Kabine gequetscht, meine Freunde, meine Frau, den Neffen und die Nichte – und sogar einen Basset Hound. Lustig fanden es alle, vielleicht mit Ausnahme des Hundes.

Während wir erwachsen wurden und seltener hingingen, folgten andere nach. Die Leute, die vor dem Automaten standen, um für den unschlagbar günstigen Preis von einem Franken viermal geblitzt zu werden, waren ein Querschnitt des (mehr oder weniger jungen) Quartiers. Bis zuletzt kamen die Teenager nach Schulschluss und an den Wochenenden, warteten auf die Fotoschlange, berührten den von der Entwicklungsflüssigkeit nassen, leicht nach Schwefel riechenden Streifen und hielten ihn zum Trocknen in den Wind. Geruchsneutrale digitale Automaten sind dagegen stinklangweilig.

Doch nun gibt Martin Balke auf, der Mann, der 1967 mit der Produktion dieser Automaten begonnen hatte. Er verkauft das Haus neben dem Automaten – ein Haus, in dessen Keller zumindest früher ganze Tanks mit seltsamen Foto-Flüssigkeiten lagerten. In einem Sommer habe ich einmal einige Tage dort gearbeitet – und danach gestunken wie die Fotostreifen. Irgendwann komme der Moment, an dem man sich von Dingen trennen müsse, erklärt der 85-Jährige dem «Tages-Anzeiger».

Nun soll aber keiner sagen, Balke sei der Abschied leicht gefallen: Bereits vor vielen Jahren hiess es, der Automat sei am Ende, da die Fotostreifen dafür gar nicht mehr produziert würden. Doch Balke fand einen Weg und hielt ihn für Wiedikon am Leben – als letzten seiner aussterbenden Art. Dass man ähnliche Geräte nur noch im Museum betrachten kann, sagt alles.
Dennoch: Die beiden haben sich den Ruhestand verdient, auch wenn wir den alten Kasten vermissen werden. Und Herrn Balke können wir nur danken, für die vielen Jahre, in denen er allen Kindern, Jugendlichen und Kindsköpfen im Quartier schöne Stunden bereitete.